Anmerkungen

EINE REISE IN DIE RÄUME DES ÜBERGANGS

Meine Mutter starb vor drei Jahren in einem Alters- und Pflegeheim im Rheintal. Ihre letzte Phase, die sie im Heim verbrachte, hat mir nicht nur in aller Deutlichkeit die Zerbrechlichkeit des Lebens (auch meines eigenen) bewusst gemacht. Es hat mir auch gezeigt, wie sehr Menschen in dieser Lebensphase auf die Unterstützung durch andere Menschen angewiesen sind. So lange ich denken kann, betrachte ich Autonomie als ein «Grundrecht», habe aber dabei nie daran gedacht, wie durch Gebrechlichkeit eigenständiges Handeln und Entscheiden in Frage gestellt werden, ja sogar verloren gehen kann. Das mag übrigens auch ein Hauptgrund dafür sein, dass bei Umfragen, wo Menschen sterben möchten, 90 Prozent der Befragten sagen, dass sie zuhause sterben möchten. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.

Es stellte sich die Frage, wieso Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen. Kann es sein, dass es zu wenige Menschen gibt, die genügend ausgebildet sind, um sterbende Menschen zuhause so zu betreuen, dass ihnen da ein «würdiger» Tod ermöglicht wird? Können wir es uns überhaupt leisten, zuhause zu sterben und dabei intensive Betreuung zu beanspruchen? Schieben wir die Frage, wer uns einmal an unserem Sterbebett begleiten soll auf die lange Bank, weil wir uns mit diesem Thema einfach nicht befassen wollen? Wird es dann nicht zu spät sein, wenn wir auf konkrete Hilfe angewiesen sein werden? Können wir heute schon Einfluss nehmen auf die «Qualität» von Begleitenden? Sollten wir das Thema nicht frühzeitig aufgreifen und in der Gesellschaft diskutieren? Die Auseinandersetzung in Form eines Films, der Emotionen transportieren kann, schien mir eine gute Möglichkeit zu sein, um über das Sterben und damit über das Leben nachzudenken.

In einer auf höchste Individualität ausgerichteten Gesellschaft auf die Unterstützung und Anwesenheit von anderen angewiesen zu sein, ist nicht leicht. Die Bedeutung jener Menschen, welche sich um Sterbende kümmern, ist uns heute kaum bewusst. Auch die Tatsache, dass viele dieser Menschen, es sind meist Frauen, diese Arbeit als Freiwillige tun, wird von der Gesellschaft kaum wahrgenommen.

Es war mir schnell klar, dass ich keinen weiteren Film über das Sterben machen wollte, sondern einen Film über die «unsichtbaren» Heldinnen des Alltags, Begleiterinnen und Begleiter von Sterbenden. Der Film soll dabei, im Sinne von Gerald Hüther, auch dazu anregen, uns Gedanken zu unserer Gemeinschaft zu machen: «Wir brauchen Gemeinschaften, deren Mitglieder einander einladen, ermutigen und inspirieren, um über sich hinauszuwachsen.»

Ein Ziel dieses Films ist nicht nur die Schärfung der Wahrnehmung für diese Menschen. Es geht auch um die Auseinandersetzung bezüglich einer Transformation unserer gegenwärtigen Beziehungskultur. Eine kleine Gruppe von Menschen, die sich alle für das Wohl von Sterbende einsetzen, bildet – über die Grenzen von Kontinenten und Kulturen hinweg – eine überschaubare Gemeinschaft mit dem einen verbindenden Element – für andere da zu sein. Vielleicht können Einblicke, die sie uns in ihr Leben, Denken, Fühlen und Handeln gewähren, zu inspirierenden und ermutigenden Impulsen werden, selber einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft zu leisten.

Ein Film von Thomas Lüchinger